Gestern in der Bahn. Natürlich verspätet, natürlich nach Zugausfall, natürlich auf extra komplexer Alternativroute, natürlich hoffnungslos überfüllt. Alles nichts Neues. Aber dann passierte es!
„Darf ich Ihnen meinen Platz anbieten?“
Ein junger Mann in einer fröhlichen Viererrunde junger Erwachsener, die gerade ein altbekanntes Kartenspiel ausgepackt hatten, um sich die Fahrzeit zu vertreiben, bot mir seinen Platz an. Das saß. Es ist soweit. Ich wirke so alt und gebrechlich, dass mir jüngere Menschen in der Bahn ihren Platz anbieten. Wow. Ich muss schlucken.
„Nein danke,“ sage ich höflich und vielleicht eine kleine Spur pikiert „ist schon okay.“
Und ich stehe lieber und schaue jenem jungen Mann zu, wie er das erste Mal in seinem Leben UNO spielt ... ich kann sein Blatt wunderbar einsehen ... und prompt gewinnt. Ich freue mich mit. Und denke zugleich, sehe ich wirklich soooo alt aus?
Ja, ein langer, anstrengender Sitzungstag liegt hinter mir. Ja, mein Haar ist ziemlich weiß und auch mein Bart verliert seine dunklen Schatten zunehmend. Aber ich laufe weder am Stock, noch erlebe ich mich als besonders faltig. Im Kopf glaube ich noch recht klar zu sein und besonders geschnauft habe ich auch nicht. Selbstbild und Fremdbild stimmen offenbar nicht ganz überein. Und ich muss mich daran gewöhnen, dass ich alt werde. Wieder einmal mehr - nach Seniorenteller und Rentnercountdown. Das Thema begleitet mich; mehr als mir lieb ist. Heute in drei Jahren feiert meine Sohn Silberhochzeit. Wo ist die Zeit geblieben? Es ist soweit.
Und ich denke an den jungen Mann in der Bahn. Seine Freundlichkeit - mehr als nur Höflichkeit. Und ich segne ihn und seine Reisegruppe still und leise und denke: Danke.
Foto: Pixabay, hgruesen