Wieder mal so ein Wortspiel, das mich nachdenklich stimmt. Im Gespräch mit einem Elternpaar fand ich es.
Wir sprachen über Gefühle und Rituale, Gedanken, die Raum brauchen, einfach mal gesagt werden wollen. Stell dir vor, du spürst Trauer, Wut, Freude, Angst – die einen überkommt es wie eine Welle, die anderen nehmen die Gefühle kaum wahr. In gewissen Lebensphasen hat das Umfeld Verständnis für die Tränen der Trauer oder der Freude. Auf Beerdigungen darf geweint werden und auf Hochzeiten ist es fast rührend, wenn die Eheleute oder deren Eltern die ein oder andere Träne vergießen. Aber wenn der Alltag bewältigt werden will und einen die Trauer lähmt oder die Wut einen lieber in den Wald treibt als am Schreibtisch in Ruhe seine Arbeit tun zu können, stören die Gefühle die Routine. Die einen überspielen sie dann, die anderen verdrängt und die nächsten stürzen sich in die Aktion, um gar nicht erst Gefühle wahrzunehmen und aufsteigen zu lassen. Wie soll Mensch auch damit umgehen? Zumal wenn die anderen hilflos oder verständnislos darauf regieren? Wann ist es Zeit Gefühle zuzulassen? Was sollen auch die Leute sagen, wenn plötzlich ein lauter Schrei oder ein fröhliches Lachen zu hören ist. Ach, da zeigt sich dann vielleicht noch Scham oder stellen sich je nach Prägung sogar Schuldgefühle ein, denn man will ja niemanden stören. Auch die Ruhe nicht stören.
Im Gespräch wurde deutlich, dass andere Gefühle fordern. Nach einem Verlust soll getrauert werden – damit man gesund bleibt. Die Freude braucht Ausdruck, damit sie nicht implodiert. Ach, und scheinbar wissen andere nur zu gut, wann was, in welchem Rhythmus dran ist. Und ja, ich selbst gehöre zu denen, die davon überzeugt sind, dass Gefühle Raum brauchen. Gelebt werden wollen. Zur Sprache finden können – auf welche Weise auch immer. Ich selbst habe erlebt, wie heilsam es ist meine Gefühle wahrzunehmen, ihnen Gestalt zu geben in Worten, Bildern, Bewegungen, Klängen. Das brauchte für mich nicht nur Raum, sondern auch einen geschützten Raum, Vertrauen, manchmal auch Begleitung, um gehalten zu sein und auch nicht in Gefühlen zu versinken oder mich zu verlieren. Mein Erleben brauchte Resonanz. Da waren Menschen an meiner Seite, die begleitet, aber nicht gefordert haben. Die auch nicht überfordert haben, aber mich auf meinem Weg förderten. Menschen, die mir nicht allein Raum und Zeit gaben, sondern auch ließen – Zeit und Raum für meine Gefühle – und vor allem mein Tempo.
Ein Arzt verordnet, ganz im Sinne von drei Mal täglich diese Tropfen, jene Medikamente, diese Übung. Verorten hatte für mich in dem Gespräch noch eine weitere Dimension. Da ging es nicht nur um Rituale und Gewohnheiten, die uns in Lebensphasen helfen können mit Gefühlen umzugehen. Da ging es nicht um drei Mal am Tag Tränen verdrücken, im Wald schreien, Grimassen vor dem Spiegel ziehen, um zu lachen. Beim Verorten ging und geht es mir um einen Ort, den ich mir und meinen Gefühlen gebe. Ich nehme wahr. Spüre hin. Ich gebe mir Zeit. Gerne auch regelmäßig in Reflektionen beim Tagebuchschreiben, Spaziergehen, Meditieren. Aber da muss nichts. Da kann alles sein. Und wenn ich da nichts spüre, dann ist das okay. Wenn ich einen Ort habe – in mir oder außerhalb, wo ich sein kann, wie ich bin, dann ist das heilsam. Im Gespräch oder in Gruppen mögen je nach Situation Gefühle nicht angebracht sein – aber sie brauchen Raum gelebt zu werden. Tränen wollen nicht geschluckt werden, Lachen nicht unterdrückt, Wut will nicht im Bauch bleiben. Doch wann sie in meinem Leben ihr Gesicht zeigen, kann nicht verordnet werden. Doch Orte des Seins kann Mensch sich schaffen – ich finde sie meist in der Stille.