Drei Lesezeichen liegen vor mir. Laminiert. Je eins in den Bibeln, die mich aktuell im Alltag begleiten. Eine liegt am Frühstückstisch, eine am Gebetssessel, und eine ist per Handtasche mit zum Bibelgespräch.
Wann immer ich die Bibel lese, finde ich ein Lesezeichen von ihr und bin dankbar für die Zusagen und Segensspuren durch sie in meinem Leben.
Ursula ist in der letzten Woche heimgegangen. Eine Beterin. Eine Missionarin. Eine Frau mit klaren Worten, Liedern im Herzen, und Wegbegleiterin durch mein Leben. Sie war meine Kinderärztin, wir trafen uns beim Einkaufen auf dem Markt, sangen später gemeinsam im Kirchenchor, und in Krisenjahren begleitete sie mich nicht nur im Gebet. Sie war da und half, wie sie konnte.
Das kleine Lesezeichen bekam ich von ihr am 12.Oktober 1997. Sie kam zum Tag der Bibelschule und begleitet meinen Start dort mit. Neben dem Vers aus dem Hebräer-Brief waren mir ihre Worte auf der Rückseite immer von Bedeutung und sind es bis heute. Sie schrieb:
Liebe Claudia !
Vertrau IHM ! Täglich aufs Neue.
Gott segne Deinen Weg.
In Jesu Namen.
Deine Ursula S.
Keine Großen Worte, kein langer Text. Ich ging mitten in meinem Krisenjahr an die Bibelschule. Mein Elternhaus gab es nicht mehr, meine Zukunft war Gnade. Menschen, wie Ursula waren es, die meine Berufung glaubten, mich ermutigten in Wort und Tat, und für mich beteten. Berührt hat es mich bei einem Besuch bei ihr zu Hause, dass mein Foto in ihrer Küche hing. Neben ihren Kindern und Enkeln, die als Missionare im Ausland waren, hingen dort Bilder an einer Pinnwand von Menschen, die im geistlichen Dienst waren oder auf dem Weg dahin. Täglich betete sie für die Menschen und konnte aktuell berichten, was gerade dran war, wo sie waren, was sie bewegte.
Fast zwanzig Jahre später bekam ich ein ausgemaltes Lesezeichen von ihr zu meinem Geburtstag. 2017 war sie längst umgezogen und lebte im betreuten Wohnen. Auf der Rückseite wieder ein paar wenige Worte von ihr, die mein Herz berührten:
Dieses, von mir ausgemalte Lesezeichen als kleines Andenken an unsere alte Verbindung durch die Heimat in Erle. Ursula
Mittlerweile waren wir beim Du. In meiner Kindheit und Jugend war sie immer Frau Dr. S. für mich. Irgendwann, in Bibelschulzeiten kam dann der Vorname dazu. Dann kamen Karten und Briefe von ihr, da fehlte der Nachname – und meine Ärztin war sie schon lange nicht mehr. Doch sie tat mit ihren Worten meiner Seele gut. Die „Heimat in Erle“ war für uns die Verbindung. Für sie, die ihre Heimat in Breslau durch den Krieg verlor, und für mich, die von jetzt auf gleich ihr Elternhaus verlassen musste, und für die Erle lange keine Heimat mehr war. Als Ursula mir das ausgemalte Lesezeichen schickte, lebten wir beide schon nicht mehr in Erle – aber dort begann unsere Geschichte. Und wir waren es, die Erinnerungen an die Jahre dort miteinander teilen konnten, gemeinsame Bekannte hatten, „unsere“ Thomaskirche, in der wir beide gerne sangen.
Mit zunehmendem Alter wurde es mir wichtiger sie anzurufen, ihr zu schreiben – denn mir wurde bewusst, jetzt kann ich ihr Gutes tun, einfach dadurch das ich bin. Und wie berührt war ich jedes Mal, dass sie noch im hohen Alter wusste, wo ich im Dienst bin, wie mein Mann heißt, dem sie nie begegnet war, nachfragte, wie es uns ging. Sie teilte ihr geistliches Leben mit mir, erzählte mir von Fernsehgottesdiensten und den Liedern, die sie noch sang. Sie betete für uns und wünsche Gottes Segen.
Zu meinem 50. Geburtstag, vor knapp zwei Jahren, kam noch eine Karte mit wenigen handgeschriebenen Worten, aber mit dem Zuspruch aus Römer 12,12: „Seid fröhlich in Hoffnung, geduldig in Trübsal, beharrlich im Gebet.“ – Wie zum Beginn meines Weges an der Bibelschule die Ermutigung Gott zu vertrauen. Zu beten. In schweren Zeiten nicht aufzugeben. Auf der Rückseite dieser Karte ist eine Friedenstaube, mit einem Zweig im Schnabel. Zeichen der Hoffnung!
Im Alter von 99 Jahren ist Ursula nun eingeschlafen. Im Spätsommer telefonierten wir noch und sie bat mich mitzubeten, dass sie gehen darf. Ihr Leben war für sie rund. Sie gehört für mich zu den Menschen, von denen die Bibel schreibt, sie starben lebenssatt. Ihr Weg hier auf Erden ging zu Ende. Das wusste sie. Das wünschte sie. Sie wusste auch, wie sie es oft gesungen hat: „ich weiß, dass mein Erlöser lebt!“. Ursula hatte Hoffnung, Glauben, Liebe. Sie hat Gott vertraut – in frohen, wie in schweren Jahren. Mit ihrem Gott konnte sie Mauern überspringen. Das hatte sie schon in jungen Jahren erfahren und erlebte, wie Gott ihr Leben segnete. So wurde sie für andere zum Segen. Für mich zu einer Frau des Segens.
Dankbarkeit erfüllt mein Herz, wenn ich an sie denke. Dankbarkeit, dass ich sie kennen durfte, erleben konnte und von ihr lernen durfte, was Vertrauen, Hingabe, Liebe heißt. Sie gehörte mit zu den Menschen „meines Dorfes“ und hat mit anderen es ermöglicht, dass ich von Kinderbeinen an meinen Weg gehen konnte, Gottes Treue erlebte, und in Krisen nicht verzweifelt bin, sondern Vertrauen neu finden konnte. Ich verdanke ihr viel, und die Lesezeichen werden sichtbare Begleiter bleiben, für eine Frau, die schon hier auf Erden ihren Gott von Herzen lobte und für ihn Zeugin war in Wort und Tat.
09.11.2024 / csb