Nun hängt er wieder am Schreibtisch. Mein Transparentstern.
Ich hüte ihn, wie manch andere Kleinigkeiten für die Weihnachtszeit: das Stückchen Fell mit dem Holz für die Deko des Krippenbildes, die drei Holzsterne und Anhänger, die jedes Jahr ihren Platz finden, der bunte Glasstern, der durchleuchtet werden muss, statt selbst zu blinken, und die Karte mit der weihnachtlich-musikalischen Stimmung. Ich liebe diese kleinen, feinen Erinnerungen – und verbinde sie mit Menschen, Orten, Andenken.
Der kleine weiße Transparentstern hat schon viele Fenster gesehen: ob in Hamburg oder Templin, Wüstenjerichow oder Schönebeck. Nächstes Jahr wird er mit uns weiterziehen. Ich bekam ihn mal geschenkt, von einer Frau, die hieß wie ich. Wir konnten gut miteinander reden, denken, Glauben teilen. Wir unternahmen Ausflüge miteinander und liebten beide die Stille. Lang ist das her. Kontakt haben wir keinen mehr. Es ist still geworden zwischen uns. Das Leben hat sich weiterentwickelt. Jede ist ihren Weg gegangen. Vor Jahren schenkte sie mir diesen Stern. Nur ein bisschen Papier, transparent, gefaltet, weiß. Mir ist er kostbar.
Auch wenn ich nie zu den großen Bastlerinnen gehörte – irgendwie mag ich das nicht nach Vorlage etwas genau umsetzen zu müssen – erinnere ich mich, wie ich als Kind Stunden damit verbracht habe, mit Bleistift, Lineal und Schere, verschiedene Größen an transparentem Papier anzufertigen, um sie dann zu falten und Stern zu formen – einfarbig, vielfarbig, kleine und große. Von denen habe ich keinen mehr. Keine Ahnung, ob sie gleich nach Weihnachten in den Müll kamen, als sie von den Fenstern genommen wurden. So ganz nach dem Motto: kann man doch nächstes Jahr neu basteln. Ja, kann man – habe ich aber nicht. Die Phase war vorbei. Und sie kam auch bisher nicht wieder. Ich bin eben keine Bastlerin, auch wenn ich sehr kreativ unterwegs bin.
Heute habe ich unsere Wohnung adventlich geschmückt – Fremde würden das wenige vielleicht kaum bemerken, denn bei uns blinkt es nicht, hängen keine Lichterketten, und noch sind die Kerzen bis Sonntag alle aus. Unser Herrnhuter-Stern ist auch nur klein und als ich heute unser bestelltes Adventsgesteck abholte, erzählte mir die Floristin sogar, dass sie sich an mein Gesicht im letzten Jahr erinnerte. Hintergrund: letztes Jahr war auf meine „Naturbestellung“ „Glanz und Gloria“ gesteckt worden, und ich muss doch ziemlich entsetzt geschaut haben. Noch vor Ort wurde letztes Jahr umdekoriert. Auf jeden Fall erinnerte die Floristin heute an diese Szene und hat sich mächtig ins Zeug gelegt, dass ich diesmal wirklich „Natur pur“ bekam – und ich bin von Herzen dankbar und glücklich.
Schon während des Abholens unseres Gestecks und im Dekorieren unserer „Habseligkeiten“ – ach, was für ein schönes Wort! „Hab-Seligkeiten“ – erfüllte mich eine innere Freude, weil wenig so schön sein kann, so kostbar, so wertvoll! Ich freue mich an dem scheinbar Wenigen, das mein Leben so reich macht – und merke zunehmend, dass ich damit einen „Gegentrend“ lebe. Aber vielleicht ist das auch nur meine ganz eigene Art, meine Kunst das Leben zu feiern und zu genießen. Mich an Wenigem zu freuen, das Persönliche zu schätzen.
Mein kleiner weißer Stern am Schreibtisch erinnert mich auch in diesem Jahr neu, dass jeder Moment einmalig ist und ich mich, wie dieser Stern, durchleuchten lassen will. Transparent sein. Und da wachse und lerne ich. Jahr für Jahr. Alle Jahre wieder.
„Wonne, Wonne, über Wonne – Christus ist die Gnadensonne“
Christian Keimann, 1646
29.11.24 / csb