Wir stehen in der Kirche. Singen um Frieden. Wir applaudieren. Lange stehen die Besucher am Vorabend des 3. Oktober in der St. Trinitatis Kirche in Genthin und wir mit ihnen.
Musik von Vivaldi, Bach und Haydn hörten wir, ebenso wie manche Gedanken, die wir nachdenken dürfen. „Musiker sind Architekten des Himmels“, dieser zitierte Satz von Bobby Mc Ferrin klingt besonders in mir nach. In Gedanken sehe ich ihn vor mir, diesen Musiker, der Menschen zum Singen anstiftet und einstimmt.
Heute Abend waren wir zum Hören in der Kirche. Am Ende sangen wir dann von Herzen mit – gemeinsam mit allen: Dona nobis pacem. Diese Bitte um Frieden, am Abend vor dem 3. Oktober berührt mich besonders. Im Jahr, in dem wir 80 Jahre Frieden feiern und morgen 35 Jahre Wiedervereinigung, scheint der Frieden fragiler als je in meinem Leben, und in meiner Heimat Gelsenkirchen sprach man die letzten Wochen nicht nur von Königsblau. Auch das war für mich Tagelang ein Gebetsanliegen, ist mir der Westen doch immer noch nah.
Im Konzert wurde heute der Wunsch geäußert, dass mehr Menschen im Osten des Landes Urlaub machen sollten. Wir haben uns entschieden zu bleiben. In den letzten Jahren und Jahrzehnten bin ich viel umhergezogen. Umgezogen. Jetzt will ich ankommen und bleiben. Wollen wir es als Ehepaar, und mit uns ein Teil der Familie. Hier wollen wir alt werden.
Ich selbst dachte im Konzert an meine Abiturprüfung, in der ich gefragt wurde, wie ich die Wiedervereinigung aus der Geschichte heraus sehen und bewerten würde. Da ich ein Mensch bin, der nach vorne gewandt lebt, begründete ich es auch vom Ziel her: Menschen brauchen gemeinsame Zeit. Wenn Menschen sich ihre Geschichten erzählen und miteinander wohnen, dann kann Gemeinschaft wachsen und das Leben gelingen. War ich damals zu naiv?
Nach dem Konzert waren wir eingeladen im Gemeindesaal bei kalten und warmen Getränken ins Gespräch zu kommen. Ein Stehempfang. Und wir folgten der Einladung, kamen ins Gespräch, stellten uns als Zugezogene vor, vernetzten uns. Wir zeigten uns. Wir gingen auf Personen zu, die wir kennenlernen wollten. Wir machten uns bekannt, wie es so schön heißt, und ich bin gespannt, was daraus an Beziehung wächst.
Beziehungen brauchen Pflege, das weiß ich aus Erfahrung. Der Frieden auch. Beidem will ich mich widmen. Friedliche Beziehungspflege üben. Und ich glaube noch heute, dass Friede sich ausbreiten kann, wo wir aufeinander zugehen und voneinander lernen, miteinander Leben teilen. Ich weiß auch, allein schaffe ich es nicht. Daher singe ich: Herr, gib uns deinen Frieden, und stimme immer wieder ein in den gemeinsamen Gesang „Dona nobis pacem“, der mich seit meiner Jugend begleitet, und der Menschen verbindet: aus Ost und West, Nord und Süd. Nicht nur heute Abend.

02.10.2025 / csb