Noch nie war ich einem terroristischen Ereignis so nahe. Selbst beim Attentat auf dem Breitscheidplatz in meiner Heimatstadt Berlin war ich weiter entfernt.

weihnachtssingen2024Mehr noch. An jenem Freitagabend waren Claudia und ich beim Weihnachtssingen auf dem Marktplatz in Schönebeck – eine, na, sagen wir mal kreative Mischung aus kirchlichen und sehr säkularen Weihnachtsliedern, begleitet von den Bläsern der evangelischen Kirche. Friedlich leuchteten hunderte von Kerzen. Mir lag ein wenig zu viel Glühweinduft in der Luft – aber sei’s drum. Viele, sehr viele Menschen waren da und sangen miteinander. Letztes Jahr hatte es bei dieser von den Kirchen initiierten Veranstaltung noch geregnet – und dennoch waren damals über 100 Menschen vor Ort. Gestern aber gab es ein regelrechtes Gedränge, eine kleine Möglichkeit etwas von Frieden und Hoffnung zu bezeugen.

So gingen wir dankbar und fast schon beschwingt nach Hause … und erfuhren dort, was nur wenige Kilometer entfernt von uns passiert war. Ein Auto sei in die Menschenmenge auf dem Weihnachtsmarkt von Magdeburg gerast und habe eine Spur der Verwüstung hinterlassen – mit Toten und Verletzten.

Ich habe es nachgemessen: es sind tatsächlich knapp 15 km Luftlinie, 17 km mit dem Auto von hier nach dort – abends in weniger als einer halben Stunde zu erreichen. Und ja, das hat etwas mit uns gemacht. Fernsehbilder sind immer irgendwie weit weg, woanders. Krieg und Terror bringen Mitgefühl hervor, natürlich – egal wo es passiert. Doch quasi um die Ecke hat noch einmal eine andere Qualität. Wir sind erschüttert und fühlen uns betroffen, obwohl wir nicht dabei waren.

Heute Nachmittag sollte im SCHALOM-Haus, Claudias Wirkungsort, ein nettes vorweihnachtliches Chorkonzert stattfinden. Nein, das wäre befremdlich gewesen, da doch alle kulturellen Veranstaltungen in Magdeburg abgesagt waren, ein paar Kilometer weiter in Schönebeck „Oh du fröhliche…“ zu singen. Das Konzert fiel aus. Die Nachricht verbreitete sich über die Medien und einen Aushang. Etliche riefen auch bei Claudia an, ob das Konzert denn stattfinden würde (ja, so sieht dann der freie Tag im Pastorendienst aus). Großes Verständnis für die Entscheidung von Gemeinde- und Chorleitung.

MD GedenkenStattdessen entzündeten wir Kerzen im SCHALOM-Haus und standen für Gespräche und Gebete für jene Menschen bereit, die die Absage nicht mehr erreichen würde. Eine Handvoll Menschen kam tatsächlich – nicht, weil sie das Konzert wollten, sondern einen Ort der Stille und der Andacht suchten.  Wir hörten von Ängsten und Sorgen und der Sehnsucht, trotz allem die Weihnachtshoffnung nicht zu verlieren.  Alles ungeplant und improvisiert und dennoch gesegnet.

Zum Abend feierten wir noch den ökumenischen Gottesdienst im Dom von Magdeburg per Internet mit: beeindruckend und stark, musikalisch berührend, wenngleich sich „Ökumene“ auf die beiden größten Kirchen beschränkte. Claudia schreibt noch ihre Predigt um … und dann werden wir wohl müde und geschafft ins Bett sinken.

Nachdenklich, traurig und doch getrost.

 

Nachtrag: 22. 12. 2024

Die Predigt für den Gottesdienst hatte Claudia schon früh in der Woche fertig gehabt. Der Titel der Predigt: „Vor Freude hüpfen“ (die Geschichte von Marias Besuch bei Elisabeth), in der es heißt, das Kind hüpfte vor Freude im Leib der Elisabeth. Das wäre nach Magdeburg wohl ein unpassender Predigttitel.

So musste die Predigt noch einmal überarbeitet werden. Stunden, die ganz anders geplant waren, flossen noch einmal in die Arbeit an der Predigt. Das war notwendig und gut. Denn die Gemeinde litt an den Ereignissen von Magdeburg mit Trauer und Wut, Schmerz und Fragen. Einige Gottesdienstbesucher waren am Freitag noch kurz vor dem Attentat auf dem Weihnachtsmarkt gewesen...

Das Ergebnis der Sonderschicht war eine Predigt „Mit Gefühl und erfüllt vom Geist“ ... wobei sich die ersten beiden Worte auch als Mitgefühl verstehen lassen. Die Entdeckung ist ja, wie häufig der Geist Gottes im Lukasevangelium eine Rolle spielt, sogar vor der Geburt von Jesus (und sogar von J0hannes dem Täufer - das hüpfende Baby). All das lässt sich in Lukas 1 nachlesen.

 

 

 

Die Predigt handelte vom Magnificat, dem Lobgesang der Maria. Und die Predigt berührte. Es war mucksmäuschenstill im Gemeindesaal, als Claudia mit großer Souveränität und Stärke die Predigt hielt. Im Anschluss gab es dankbare Rückmeldungen. Das war nicht selbstverständlich.

Die ursprüngliche Predigt war „rund“, so empfand es Claudia. Die neue Fassung hatte Ecken und Kanten. So ging es mit großer Sorge und innerer Unruhe in den Gottesdienst. Vielleicht musste es so sein. Auch die Futterkrippe, in die Jesus gelegt wurde, hatte Ecken und Kanten. Die Ernsthaftigkeit, mit der die Gemeinde Fürbitte für Magdeburg leistete, hat mich schon sehr berührt.