Wie begeht man einen geschichtsträchtigen Tag wie diesen? Reichspogromnacht und Nacht des Mauerfalls. Und noch ein paar mehr deutsche merk-würdige Daten...
Gesundheitlich noch nicht auf der Höhe habe ich diesen Morgen dann doch im Bett verbracht und habe Video-Clips angesehen, die mir von Facebook ungefragt angezeigt wurden. Ein Reel nach dem anderen, die die menschenverachtenden und juristisch höchst umstrittenen Einsätze von ICE und ähnlichen Bundesbehörden in den USA dokumentieren. Im Kampf gegen Kriminalität illegaler Einwanderer werden Männer, Frauen, Kinder auf offener Straße von schwerbewaffneten Paramilitärs (so jedenfalls sehen sie aus) gefangen genommen – ohne Haftbefehl, ohne die Möglichkeit, jemanden zu benachrichtigen, ohne zu erfahren, wohin sie verbracht werden. Letztendlich werden die meisten von überfüllten Zwischengefängnissen in KZ-artige Deportationslager verbracht. Das Budget, das Herr Trump für diese Maßnahmen plant, ist höher als das Militärbudget der meisten Länder der Erde (nur die USA, Rußland und China haben ein höheres Militärbudget), so ein Rundfunkbeitrag.
Natürlich hat jedes Land das Recht, sich auch nach innen zu verteidigen. Aber hier geht es ganz offensichtlich um etwas ganz anderes, nämlich um die Förderung von Hass, die Verbreitung von Angst und Schrecken, die Ausgrenzung einer bestimmten Menschengruppe (in diesem Fall Latinos). Wenn Menschen allein wegen ihrer Hautfarbe angehalten werden, wenn Kinder schon mal mit Tränengas traktiert werden, wenn Gummigeschosse auf die Köpfe friedlich Protestierender geschossen werden, wenn sich Staatsbeamte vermummen und nicht identifizieren, wenn Schwangere gefesselt abgeführt werden – dann geht es nicht um Kriminalitätsbekämpfung oder Immigrationsregelung, sondern um Schreckensherrschaft und Willkür. Der 9. November 1938 lässt grüßen.
Gleichzeitig ist etwas zu beobachten, was in der Nazi-Zeit eher die Ausnahme war: Zivilcourage. Ehrlich gesagt, wenn eine Gruppe schwerbewaffneter Vermummter ohne eindeutige Identifikation aus zivilen und militärisch anmutenden Autos stürmen und die Straße blockieren, wäre ich geneigt, aus dem Weg zu gehen. In den USA stellen sie sich in den Weg. Ohne körperliche Gewalt fordern sie für sich und die Festgenommenen ihre Rechte ein. Ja, dabei sind auch verbale Entgleisungen, die in Deutschland als Beamtenbeleidigung strafbar wären, dort aber durch die Meinungsfreiheit gedeckt sind. Ihr lautes Geschrei und zahlreiche Handyaufnahmen gehen um die ganze Welt (auch wenn sie im Deutschen Fernsehen eher selten zu sehen sind). Dieser Mut erinnert mich an den gewaltlosen Widerstand der DDR-Bürger, der zum 9. November 1989 führte.
Und während ich das schreibe, denke ich nach über Deutschland… wo heute große Reden zu den Jahrestagen geschwungen werden und gleichzeitig Menschen mit anderem Aussehen systematisch unter Generalverdacht gestellt und zu Sündenböcken gemacht werden; wo Messer- und Stadtbilddiskussionen Angst und Schrecken verbreiten sollen. Ich sehe den Bruchteil von Sozialhilfeschmarotzern als Begründung arme Menschen noch weiter verarmen zu lassen, während ein Herr Musk sich gerade ein Jahresgehalt von 900 Milliarden EURO [sic.] zusichern lässt und wir dennoch glauben, das Problem läge bei den bösen Ausländern und Sozialhilfeempfängern.
Und ich frage mich … was feiern wir heute eigentlich?
- Disclaimer: Ich habe mehrere Jahre in den USA gelebt und kenne einige der Orte, die in den einschlägigen Videos viral gehen. Es geht in meinem Beitrag weder um Anti-Amerikanismus, noch um Parteipolitik. Ich schreibe säkular als Christ und bezeuge, dass jeder Nationalismus und jede Ausgrenzungspolitik dem Evangelium des Jesus von Nazareth, dem Asylsuchenenden in Ägypten, dem Freund der Armen und Unterdrückten, dem Christus eines Reiches nicht von dieser Welt, mehr als deutlich widerspricht.