Beim Aufräumen alter Unterlagen fand ich Korrespondenz, an die ich mittlerweile keine Erinnerung mehr hatte. Sie illustriert gesellschaftlichen Wandel im Laufe meines Berufslebens.

DittwaldAls ganz junger Pastor (gut einen Monat im Dienst) wurde ich beauftragt für die Aktion ""Die Bibel spricht"" eine Teilnehmerin eines Bibelstudienfernkurses zu betreuen, ihr regelmäßig Lehrbriefe zu senden und per Brief Kontakt zu ihr zu halten. Später gehörten auch Telefonate und Hausbesuchedazu. Alles hatte ich fein säuberlich dokumentiert - ihre handschriftlichen (!) Briefe und künstlerischen Karten an mich, sowie meine mit Schreibmaschine geschriebenen Antworten an sie (immer schön mit Durchschlagpapier ... gibt es so etwas überhaupt noch?)...

Die erste Kontaktaufnahme ging noch an Frau Dittwald*, doch machte sie diskret darauf aufmerksam, dass es sich um Fräulein Dittwald* handele. Also sprach ich sie fortan als Fräulein Dittwald an. Das war in 1981. Manche gesellschaftlichen Veränderungen passieren eher schleichend - doch irren wir, wenn wir glauben, die Bezeichnung "Fräulein" (das war eine unverheiratete Frau - egal welchen Alters) verlor in den 50er Jahren und den ersten Agfa-Color Filmen im Kino ihre Bedeutung.

Auch, dass eine Frau einem fremden Mann (ja, ein Pastor ist auch Mann) handgeschriebene Karten und Briefe schreibt, sehr persönlich, sehr freundlich, mit viel Dankbarkeit und Herzlichkeit, würde heute als eher ungewöhnlich und wenn überhaupt nur als Liebesbriefe gelten. Längst haben E-Mails, What'sApp und andere Messenger-Dienste mit ihren unvollständigen, dafür mit Emojis verzierten Kurzmitteilungen den handgeschriebenen Brief abgelöst. Wann genau das war?  Keine Ahnung, aber im Laufe meines Arbeitslebens. Und es ist ein gewaltiger Paradigmenwechsel.

Ein Vortrag, an dem ich kürzlich teilnehmen konnte (online, versteht sich -  auch das undenkbar vor 20, geschweige denn 40 Jahren), führte mir vor Augen, wie sehr sich im Laufe meines Lebens auch Zeitstrukturen verändert haben und welche Auswirkungen das auf christliche Gemeinden und ihre Veranstaltungskultur hat. Waren früher Arbeitszeiten klar geregelt, Ladenöffnungszeiten begrenzt, Wochenenden tatsächlich frei, so sind Dienstpläne und Arbeitsanforderungen - auch jenseits der traditionellen Schichtdienste - sehr viel unberechnbarer und flexibler geworden, was (übrigens auch ein schleichender Prozess) regelmäßige Gemeindeveranstaltungen deutlich erschwert.  Von der 24/7 instant Erreichbarkeit und dem medialen Überangebot haben wir hier noch gar nichts erwähnt...

Was sagt uns das?

  1. Ich bin ganz schön alt geworden. Will ich mit den aktuellsten medialen Entwicklungen Schritt halten, sehe ich auch alt aus - sonst vielleicht nicht... jedenfalls nicht in meiner Selbstwahrnehmung.
  2. Fräuleins gibt es nicht mehr. Das ist auch gut so. Wenn mein über 1,90m großer Enkel mit Männlein bezeichnet würde, nur weil er nicht verheiratet ist, wäre das ja auch nicht passend.
  3. Die veränderte Zeit fordert Anpassungsleistungen von uns. Unsere Erwartungen - auch im christlichen Umfeld - sollten sich nicht an den Gegebenheiten der 80er Jahre (oder gar noch früher) orientieren. Auch wenn wir der "guten, alten Zeit" (z.B. den persönlichen Briefe per Post) hinterhertrauern.

Die Botschaft des Evangeliums bleibt dennoch. Wir haben einen gnädigen und barmherzigen Gott, der uns in die Freiheit führen will, der Frieden für uns Menschen wünscht, der mit uns die Vielfalt der Schöpfung feiert und erhalten sehen möchte. Gott ist kein aus der Zeit gefallenes Relikt vergangener Jahrzehnte. Das möchte ich gerne weiter bezeugen ... auch wenn die Mail oder What's App vielleicht heute mit "Hallo Monika" beginnen würde.

 

* Der Name Monika Dittwald ist selbstverständlich ein Pseudonym. Die Dame hatte einen anderen Namen.